Theoretische Grundlagen zum Shotokan Karate-Do

Inhaltliche Aspekte der Kata

Betrachtet man eine Kata in ihrer Gesamtheit, so wird deutlich, das erst viele einzelne Aspekte zusammen sie zu dem machen, was sie eigentlich ist, nämlich eine idealisierte Form des Kämpfens. Die entscheidenden Aspekte, die jeder Karateka bei der Ausführung einer Kata beachten und trainieren sollte, werden hier erläutert.


Ablauf / Schrittdiagramm

Jede Kata besteht aus einer festgelegten Anzahl von Einzeltechniken bzw. Kombinationen. Dabei sind auch die zu verwendeten Grundstellungen und die jeweiligen Richtungen, in der sie ausgeführt werden müssen, genau vorgeschrieben. Dieses Schrittdiagramm wird Embusen genannt und ist bei jeder Kata individuell.



Anfangs- und Endpunkt

Zusätzlich zum eigentlichen Kampf, also dem Ablauf der Kata entlang des Embusen, beginnt der Karateka die Kata, indem er Musubi-Dachi einnimmt und sich verbeugt. In diesem Moment steht er auf einem Punkt, der eine besondere Bedeutung hat, denn diesen Punkt gilt es nach Ablauf der Kata wieder zu erreichen. Dort nimmt er am Ende seines Kampfes wieder Musubi-Dachi ein und verbeugt sich erneut.

Die ganze Kata stellt also einen Kreis dar. Der Karateka ist am Anfang in einer Ruheposition und wird durch äußere Einflüsse (Verteidigungssituation) gezwungen diese zu verlassen. Er handelt nun angemessen der Situation, die er vollkommen unter Kontrolle hat (perfekte Kataausführung) und kehrt danach in seine Ruheposition zurück, die seinem vorherigen Gleichgewichtszustand entspricht.



Rhythmus, Timing und Kombinationen

Betrachtet man den Ablauf der Techniken in einer Kata, so zeigt sich ganz deutlich ein Rhythmus. Dieser veranschaulicht, das die Kata nicht eine Aneinanderreihung von beliebigen Techniken ist, sondern eine genau festgelegte Reihenfolge von kombinierten Einzeltechniken darstellt.

Diese Kombinationen werden in der Regel in sich schnell ausgeführt, wobei aber zwischen diesen meist eine etwas längere Pause liegt. Dieses Timing füllt nicht nur die Kata mit Leben, sondern zeigt auch, ob der Karateka den Sinn der Kata bzw. der Kombinationen und damit das Bunkai versteht.



Optimaler harmonischer Ablauf

Die einzelnen Techniken einer Kata sind so aufeinander abgestimmt, daß sich keine überflüssigen Bewegungen ergeben, eine Technik geht in die andere über. Der Technikablauf ist also einmal zeitoptimiert, d.h. der geringste Weg vom Start bis zum Ziel wird genutzt und damit werden die schnellsten Bewegungen ermöglicht. Zum anderen wird die geringste Energie verschwendet oder besser gesagt die geringste notwendige Energie aufgewendet, um sich zu verteidigen.

Mushin- nicht denken, unbewußt

Um diesen optimalen flüssigen Ablauf zu erlernen, ist es notwendig die Kata ständig zu trainieren, bis schließlich das eigene Denken aufhört und die Kata "von selbst" abläuft. Diesen Zustand des "nicht mehr Denkens" nennt man Mushin.



Bewußtsein des Zieles / Blickrichtung

Eine Kata, die eine Verteidigungssituation gegen imaginäre, also nicht vorhandene Gegner darstellt, setzt sich aus den verschiedensten Abwehr- und Angriffstechniken zusammen. Der Karateka muß nicht nur die Bedeutungen dieser Einzeltechniken kennen, sondern auch dessen Zielregionen, d.h. wie erfolgt der Angriff und auf welche Weise muß die Verteidigung stattfinden.

Dafür ist es wichtig, den imaginären Gegner "im Auge" zu behalten, also den Blick in seine Richtung zu wenden und damit die Kampfsituation mit Leben zu füllen. Geht das Auge und die Technik verschiedene Wege, so ist das Ziel des Kampfes, also die Verteidigung, weder in der Kata noch in der Realität erreichbar.



Kraftaufwand und Schnelligkeit

Das Shotokan Karate-Do ist als eine Kampfkunst bekannt, in der die harten, schnellen Techniken dominieren. Dennoch sieht man in den meisten Kata Techniken, die langsam oder in weichen, runden Bewegungen ausgeführt werden. Diese sind in keinster Weise Showelemente, sondern haben wie alle anderen Techniken auch ihre Daseinsberechtigung.

Sie können einmal eine Vorbereitung auf eine Kamae-Stellung sein, oder dienen zur Atemregulierung und damit zum erneuten Kraftaufbau und sie helfen die Konzentration auf die kommende Situation zu fixieren. Im Bunkai werden aber langsame Bewegungen meistens als schnelle, starke Techniken trainert. Die verschiedenen Arten der Muskelspannungen helfen dabei, die Muskulatur flexibel zu trainieren und somit die Techniken optimal auszuführen. Deshalb ist es auch wichtig, die ruhigen Elemente der Kata zu betrachten und zu trainieren, um das durchdachte Konzept der jeweiligen Kata zu erkennen und zu erlernen.



Kokyu / Kime / Kiai

Die drei Begriffe Kokyu, Kime und Kiai stehen in unmittelbarem Zusammenhang zueinander. Dabei ist Kokyu, also die Atmung, die erste Stufe ohne die Kime und Kiai nicht funktionieren können. Die Atmung während einer Technik, und damit auch während der Kata, entscheidet über gelingen oder nicht gelingen. Denn wenn sie falsch eingesetzt wird, dann verliert der Karateka sehr schnell seine Kraft und die Kata wandelt sich schließlich zu einem Ablauf von losen Techniken.

Kokyu- Atmung

Entscheidend ist, das der Atem mit der Technik arbeitet, also das beim Ausführen einer Technik auch ausgeatmet und nicht die Luft angehalten wird. Kommt es nun zum Kontakt mit dem Gegner oder in der Kata mit dem gedachten Gegner (egal ob beim Angriff oder bei der Abwehr), so setzt der Karateka sein Kime ein. Kime ist ein trainierter Effekt, der über die Stärke einer Technik entscheidet und bei dem alle Muskeln des Körpers blitzartig angespannt und sofort wieder entspannt werden. Dieser schnelle Spannungswechsel ist wichtig, damit der Karateka nicht zu einem unbeweglichen Ziel wird, sondern sich schnell der nächsten Aktion widmen kann.

Der Kiai stellt nun mit den anderen beiden Aspekten zusammen, die höchste Stufe der Kraftentfaltung dar. Der Kampfschrei kommt in jeder Kata zweimal vor (Ausnahme Kata Wankan) und gibt die Höhepunkte der Kata wieder, bei denen der Karateka auch sein stärkstes Kime zeigen sollte.



Anwendung der Kata (Bunkai)

Jede Kata stellt von ihrem Ursprung her einen eigenen Kampfstil dar, der in der Kata in verschlüsselter Form versteckt wurde. Da in früheren Zeiten das Trainieren einer Kampfkunst verboten war, war das die einzige Möglichkeit das Wissen und damit die Techniken an die Schüler weiterzugeben.

Heute wird versucht einzelne Elemente, Kombinationen und Techniken aus der Kata heraus zu ziehen und diese im Kumite zu trainieren. Dabei gibt es keine festgelegten, vorgeschriebenen Anwendungen, sondern es lassen sich nahezu beliebig viele Partnerübungen aus einzelnen Teilen einer Kata entwickeln. Das ist besonders wichtig, da nur eine breite Vielfalt auch eine effektive Verteidigung in den verschiedensten Situationen ermöglicht. Für den Kataausführenden bedeutet das, daß er nur über das Bunkai ein klares Verständnis über die Kata und dessen Anwendung finden kann. Sie stellt nämlich den Grundstock zur Selbstverteidigung dar.

Siehe auch: Die vier Elemente der Kata



Konzentration und Perfektion

Die Techniken im Kihon sowie in der Kata stellen ideale Techniken dar, während im Kumite die idealisierte Technik sich in Abhängigkeit der Kumiteform mehr und mehr in Richtung der Individualität, d.h. den körperlichen Beschränkungen und Fähigkeiten des einzelnen Karateka, entwickelt.

In der Kata sollte besonderer Augenschein auf die Perfektion der Techniken und dessen Zusammenspiel genommen werden. Deshalb ist es wichtig diese mit vollkommener Konzentration auszuführen. Durch ein Überlaufen der Techniken zugunsten eines schnelleren Ablaufes verliert die Kata ihren eigentlichen Sinn, nämlich die Schulung der idealen Verteidigung. Sie hat somit ihre Existenzberechtigung verloren und stellt dann nicht mehr dar, als eine hektische, unkontrollierte Kür.



Kampfgeist / Bereitschaft

Zwei sehr wichtige Elemente der Kata sind Kihaku und Zanshin. Die Kata stellt einmal einen Kampf gegen imaginäre Gegner dar, aber vielmehr ist sie für den Karateka ein Kampf mit sich selbst.

Zanshin- Überlebender Geist

Es ist nicht nur die konditionelle, körperliche Belastung die jede Kata verlangt, sondern auch die geistig-seelische Belastung, die z.B. während eines Wettkampfes, einer Prüfung oder auch schon im Training auftritt. Der Karateka muß durch seine Handlungen und durch seine Ausstrahlung zeigen, daß er bereit ist sich der (unvermeidbaren) Kampfsituation zu stellen und sein Wille zur Verteidigung des Selbst muß bis zum Ende der Kata sichtbar bestehen bleiben.



Kataelement / Bedeutung des Katanamen

Die Bewegungen und Techniken innerhalb einer Kata sind verschieden in der Ausführung von Kraft und Schnelligkeit. Es ist nun möglich den einzelnen Techniken bzw. Kombinationen eines der fünf Elemente zuzuordnen und so die geistige Vorstellung eines Technikablaufes bildlich zu verstärken. So kann z.B. eine Zuordnung zum Element Wasser dem Karateka deutlich machen, das er um den Angriff "herumfließen" muß, also keine ruckartigen Bewegungen machen soll, da es sich für die entsprechende Anwendung als ideal herausgestellt hat. Man kann auch einer gesamten Kata ein Element zuordnen, wenn es sich wie ein "roter Faden" durch die Kata zieht.

In einigen Fällen läßt sich auch schon anhand des Katanamens etwas über ihren Charakter sagen. Deshalb kann es für die Ausführung einer Kata hilfreich sein, sich die Übersetzung des Katanamens zu verinnerlichen.


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Die vier Elemente der Kata


Bunkai - Analyse, Zerlegung

Bunkai - Bezeichnet die Analyse der einzelnen fest vorgeschriebenen Bewegungen einer Kata, wie sie in der entsprechenden Schule gelehrt werden. Die dabei betrachtete Form der Kata bezeichnet man als das "Genki" oder Basis-Modell. Dieses bezeichnet die Urform bzw. den Ursprung der Kata.


Oyo - Anwendung

Oyo - Verlässt das "Genki" Modell indem dem Übenden individuelle Modifizierungen innerhalb der vorgeschriebenen Katabewegungen erlaubt werden. Manche Bunkai Techniken berücksichtigen z.B nicht den Größenunterschied zwischen Tori und Uke. Einer der beiden Partner modifiziert die Technik auf eine andere Schlag- oder Trittstufe als die durch die Kata fest vorgegebene. Der Karateka modifiziert und optimiert die Kata auf seine Körpergrösse und verlässt damit das "Genki" Modell.


Henka - Variation

Henka - Die Ausführung der Kata und Ihr Ausdruck werden trotz absolut gleichen Bewegungsabläufen der Ausführenden niemals gleich aussehen. Die Akzentuierungen innerhalb der Bewegungsabläufe, die eingesetzte Kraft in den Einzeltechniken, die individuelle koordinative Befähigung, die Gesamtkonstitution und viele weitere Aspekte bewirken das eine Kata von zwei Karatekas vorgetragen niemals gleich sein kann. Henka beschreibt wie der Ausführende die Kata präsentiert und auch wie er sie sieht.


Kakushi - Versteckt

Kakushi - Jede Kata beinhaltet Omote (Oberfläche, den sichtbaren Teil) und Okuden (die Esoterik oder den unsichtbaren Teil). Kakushi beschäftigt sich mit Techniken die zwar immer im Genki Modell vorhanden sind aber im Verborgenen schlummern, da sie nicht offensichtlich sind. Diese scherzhaft als "Supertechnik" bezeichneten Inhalte eröffnen sich nur wenn der Meister auf diese verweist. In traditionell ausgerichteten Dojo werden diese Techniken nur den Uchi-deshi vermittelt. Kakushi wird traditionell ab dem 4.Dan vermittelt, da dieser auch als Dan des technischen Experten bezeichnet wird.


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